Stallupönen

Stallupönen – Theater in einer Kleinstadt

 

Am Beispiel der Stadt Stallupönen (1938 umbenannt in Ebenrode) wird hier dokumentiert, welches Angebot die theaterinteressierten Bürger seit 1913 vorfanden.

Stallupönen wird hier willkürlich, aber nicht zufällig ausgewählt, weil es in diesem Portal an anderer Stelle eine Rolle spielt. Ernst Otto Nodnagel war 1893 für wenige Monate Musikdirektor in Stallupönen und hat 1904 einen Roman geschrieben, der das Musik- und Kulturleben minutiös schildert. Dieser Text erlaubt es, den Hintergrund für die späteren Theateraufführungen besser einzuordnen.

Stallupönen war um 1900 die östlichste Kreisstadt des Deutschen Reichs, nur 11 km von der russischen Grenze entfernt, Eisenbahnstation der wichtigsten Schienenverbindung mit Russland und an der Reichsstraße 1 gelegen, also der bedeutendsten direkten Straße in das Zarenreich.

Ein Städtchen von wenigen tausend Einwohnern entwickelt ein Kulturleben, das seiner Größe angemessen ist. Örtliche Chöre, ein kleiner Orchesterverein (hervorgegangen aus der Kapelle Liedtke), Beteiligung von Militärmusikern der örtlichen Garnison und aus dem benachbarten Gumbinnen, Schulveranstaltungen, Kirchenmusik in bescheidenem Maße kennzeichneten die Lage in Stallupönen. An ein eigenes Theater war natürlich nicht zu denken; hier war man auf gelegentliche Gastspiele angewiesen. Beides, die eigenen Bemühungen und die auswärtigen Besuche, soll hier beschrieben werden.

Stallupönen steht in diesem Portal exemplarisch für eine große Zahl ostpreußischer Kleinstädte, bei denen ein ähnliches Bild gezeichnet werden könnte.

Drei Kapitel werden in eigenen Menüs behandelt (s. links)

* * *

Zwischen 1913 und 1944 lassen sich 120 Theatergastspiele in Stallupönen nachweisen, im letzten Jahrzehnt etwa eines monatlich zwischen Oktober und April. Man fragt sich, wie nachhaltig diese Besuche waren, welche Rolle sie in der Erinnerung später spielten. Die Antwort ist ernüchternd: keine.

In den heute noch zugänglichen Veröffentlichungen, auch in Gesprächen mit gebürtigen Stallupönern, die damals natürlich noch sehr jung waren, haben diese Theateraufführungen keinen Nachklang gefunden; es hat den Anschein, als hätte es sie nie gegeben. Auch die Internetseite über Stallupönen (http://www.ebenrode.eu) erwähnt sie nicht.

Ganz anders ist es mit Kulturveranstaltungen, die von Ortsansässigen geplant und durchgeführt wurden. Dazu werfe man einen Blick auf den dritten und vierten Beitrag unter Dokumente zum Kulturleben. Auch in privaten Fotosammlungen finden sich Erinnerungsstücke an Schultheater-Veranstaltungen; offensichtlich keine an ein Theatergastspiel.

Die örtlich organisierten Veranstaltungen waren Ausdruck eines selbstverantworteten Bürgerwillens, Teil der kulturellen Identität einer randständigen Kreisstadt. Die von außen organisierten Theatergastspiele konnten diese Qualität offensichtlich nicht beanspruchen. Ihnen ging vermutliche jene Nestwärme ab, die die Stallupöner in ihrem Klein-Soziotop brauchten und pflegen wollten.

In Stallupönen gab es natürlich kein Theatergebäude: Die Gastspiele fanden deshalb in Hotelsälen statt, zuerst im Hotel Cabalzar, dann in Hardts Hotel, beide am Alten Markt (bzw. Altstädtischen Markt) gelegen, dem späteren Adolf-Hitler-Platz.

Wie es allerdings in den letzten Jahren des Zweiten Weltkriegs auch mit den Musikveranstaltungen in Stallupönen/Ebenrode weiterging, davon vermitteln Aussschnitte aus einer Kritik über ein Konzert des Königsberger Kammerchors unter Hugo Hartung eine Vorstellung. Der Chor unternahm im Dezember 1943 mit Händels Oratorium Judas Makkabäus (allerdings in der gekürzten und weltanschaulich bereinigten Fassung von Hermann Jacobi unter dem Titel Der Feldherr) eine Konzertreise durch elf ostpreußische Städte und gastierte am 5. Dezember in Ebenrode:

Zur Feier des zehnjährigen Bestehens der NS.-Gemeinschaft "Kraft durch Freude" hatte die hiesige Leitung am Sonntag dem 5.12. eine Aufführung von Händels Oratorium "Der Feldherr" durch Königsberger Kräfte veranstaltet. Der Saal bei Cabalzar war mit einer aufnahmebereiten und dankbaren Menge gefüllt, die freudig und erwartungsvoll dem so lange entbehrten Genuß eines wirklichen Konzerts entgegensah. Pg. Braese, der derzeitige Leiter des DAF., begrüßte die Anwesenden und die Königsberger Mitwirkenden und wies kurz auf die große Bedeutung hin, die die NS.-Gemeinschaft "Kraft durch Freude" in den zehn Jahren ihres Bestehens durch Betreuung des gesamten Feierabends der schaffenden Deutschen gewonnen hat; er gedachte dabei auch der großen Aufgaben für die Zukunft nach einem siegreichen Kriegsende. Nach dem Führergruß wünschte er dann den Anwesenden "Kraft durch Freude" und überließ den Musikanten den Platz.
. . .
Und nun – zum zweiten Mal – noch etwas anderes. Ebenrode war vor dem Kriege auf dem Wege, ein kleines, aber kräftiges musikalisches Zentrum zu werden. Seine musikliebenden und ausübenden Mitbürger zeugen durch den regen Konzertbesuch noch heute davon. Sollte nun bei den Angehörigen der früher die Aufführungen usw. tragenden Gruppen sich nicht doch etwas Gewissen regen, wenn sie solch unmögliche Lagen vor sich sehen, wie gestern Herr Musikdirektor Hartung vor dem unmöglichen Klavier? Ich muß wieder fragen: Besitzen wir in Ebenrode wirklich keinen Flügel, den man der KDF. für solche Fälle einmal zur Verfügung stellen könnte?
(Ostdeutsche Grenzboten 7.12.1943).