Mit der rasanten Entwicklung der Männerchöre im 19. Jahrhundert trat eine neue Erscheinung im Musikleben auf: Musikfeste. Während der erste reine Männerchor, die 1809 von Carl Friedrich Zelter in Berlin gegründete Zeltersche Liedertafel, nicht öffentlich auftrat, kam bei den späteren Männerchören, die sich oft ebenfalls Liedertafel nannten, zum Wunsch nach Geselligkeit auch der nach Präsentation vor Publikum hinzu.
Die Zahl der Männerchöre wuchs unvorstellbar, begünstigt durch die Suche des immer selbstbewusster sich artikulierenden Bürgertums nach gemäßen musikalischen Ausdrucksformen. Nach den Freiheitskriegen richtete sich die neue Bewegung in einer Epoche wachsenden nationalstaatlichen Denkens und vordemokratischer Strukturen an den Idealen der Zeit aus: Vaterlandsliebe und Verehrung des jeweiligen Herrschers (König / Herzog / Fürst). Die Grenze vom in Bürgerkreisen allgemein vorherrschenden national-konservativen Mainstream zu nationalistischer Sicht der Dinge wurde da leicht überschritten: Die Kriege des 19. Jahrhunderts, der Erste Weltkrieg, die nationalsozialistische Machtergreifung wurden begrüßt. Allerdings fühlten sich – vor allem im 20. Jahrhundert – Arbeitergesangvereine (Männer-, Frauen-, gemischte Chöre) anderen politischen Werten verpflichtet.
Im 1862 gegründeten Deutschen Sängerbund waren die Bestrebungen der Männerchöre schließlich vereinigt, aber schon Jahrzehnte vorher kam es regional zu gemeinsamen Auftritten, die sich verstetigten und Traditionen schufen: Musik- oder Sängerfeste verschiedener Ausprägung.
Zur Rolle und Geschichte des Deutschen Sängerbundes und seine Bedeutung für die ostpreußischen Männerchöre als Dachverband gibt es hier eine kleine Notiz.
In den Regionen bildeten sich Provinzial-Sängerbünde. In Ostpreußen lief die Entwicklung komplizierter. Den Hauptstrang bildet der im August 1847 anlässlich des 1. Preußischen Sängerfests in Elbing gegründete Sängerbund der Provinz Preußen und die von ihm veranstalteten Sängerfeste. Die Geschichte des Bundes bis zum Zweiten Weltkrieg ist allerdings verworren genug und wird an anderer Stelle beschrieben.
XXI. Preußisches Provinzial-Sängerfest 1903
Festschrift – Titelseite
(Museum Stadt Königsberg Duisburg)
Schon zuvor gab es in den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts den Versuch des Königsberger Musikdirektors Sämann, eine Tradition von Musikfesten zu schaffen, die er Ostpreußische Musikfeste nannte. Er wiederum griff den wichtigen Impuls auf, der von der Mutter aller ostpreußischen Musikfeste ausgegangen war, dem in Marienburg 1833.
Eine ostpreußische Besonderheit sind die Lithauischen Musikfeste um die Wende zum 20. Jahrhundert, die in einem eigenen Untermenü behandelt werden.
In dieses Portal werden Musikfeste, die aus einmaligem Anlass stattfanden, nicht aufgenommen (etwa Musikfeste 1863, 1870, 1872 in Königsberg, das Schul-Musikfest des Königsberger Hufen-Gymnasiums 1931, die Bachtage des Bach-Vereins Königsberg anl. seines 25-jährigen Bestehens 1942, das Musikfest anl. der Jahrhundertfeier der Musikalischen und Singakademie 1943). Der Begriff Musikfest wurde inflationär verwendet. – Allerdings wird das 23. Deutsche Bachfest in Königsberg 1936 berücksichtigt, das zwar nur einmal in Ostpreußen stattfand, aber als Veranstaltung der Neuen Bach-Gesellschaft eines in einer langen Reihe ist. Mit derselben Begründung wird auch über das 60. Tonkünstlerfest des Allgemeinen Deutschen Musikvereins berichtet, das 1930 in Königsberg stattfand.
Erwin Krolls Musikstadt Königsberg enthält ein ausführliches Kapitel Musikfeste und Musikvereine in Königsberg (S. 61–75), das wegen der Breite des dargestellten Spektrums dem Interessierten unbedingt anzuempfehlen ist. Dieses Portal legt demgegenüber Gewicht auf die Dokumentation zeitgenössischer Quellen und auch solcher Aspekte, die ganz Ostpreußen betreffen. – Nebenbei kann der vergleichende Leser erkennen, woher Kroll – was das 19. Jahrhundert betrifft – einen Großteil seiner Informationen bezogen hat.
Die Gliederung dieses Kapitel lässt sich der Menüleiste entnehmen.