Provinztheater

Einführung

In diesem Abschnitt werden die Programme der wichtigsten ostpreußischer Provinztheater in Spielzeitübersichten dokumentiert (s. Menüleiste links).

Soweit Wanderbühnen die Provinz bereisten, wird weiter unten direkt mit den Beiträgen über diese Theater verlinkt.

Darüber hinaus soll am Beispiel einer ausgewählten Kleinstadt (Stallupönen) beispielhaft dargestellt werden, wie über Jahrzehnte hinweg die Theaterversorgung dort aussah, wo eine eigene Bühne nicht lebensfähig gewesen wäre.

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Der Begriff ist zwar belastet, aber er trifft die Sache gut, wenn man die drei ostpreußischen Provinztheater in Allenstein, Memel und Tilsit betrachtet, die bis zum Ende der deutschen Zeit existierten:

GRENZLANDTHEATER

Das gilt natürlich erst einmal für das Theater in Tilsit, das seit der Spielzeit 1933/34 tatsächlich so hieß. In der „großen Zeit“ führten viele Theater nahe den Außengrenzen des Reichs diese Bezeichnung (beispielsweise die Theater in Bautzen, Görlitz, Hof, Klagenfurt, Konstanz, Saarbrücken, Trier), gleichsam als Bollwerk deutscher Kultur gegenüber dem nicht-deutschen Umland.

Von der Sache her trifft die Bezeichnung aber auf die Theater in Allenstein und Memel ungleich stärker zu. Nach dem Ersten Weltkrieg stand die Zugehörigkeit Allensteins zum Reichsgebiet zur Disposition: Der Versailler Vertrag sah eine Volksabstimmung vor, in der über die Zugehörigkeit Masurens zu Deutschland oder Polen entschieden werden sollte. Ein sehr deutliches Votum beantwortete diese Frage 1920 zugunsten Deutschlands. Aber der Selbstauftrag des Theaters war nach wie vor von dieser Besonderheit geprägt: Allenstein übernahm ab 1922 die Theaterversorgung des Abstimmungsgebiets. Nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs kam die Betreuung des Regierungsbezirks Zichenau hinzu, eroberten polnischen Gebiets, das Ostpreußen zugeschlagen wurde. In Schröttersburg wurde sogar eine feststehende Dependance eingerichtet. Die Grenzlage Allensteins führte auch zu einer großen Zahl von Gastspielen im Gebiet des Generalgouvernements und – nach dem Beginn des Krieges gegen Russland – im Bezirk Bialystok. Alleinige Aufgabe dieser Tourneen war die Betreuung deutscher Soldaten und Spezialeinheiten.

„Grenzlandtheater“ dürfte man aber auch mit erheblicher Berechtigung das Memeler Stadttheater nennen. Nach den Bestimmungen des Versailler Vertrages wurde das Memelgebiet vom deutschen Reichsgebiet abgetrennt und internationaler Kontrolle unterstellt, bald aber von Litauen besetzt. Aus der Rückschau verwundert das Schicksal des Memeler Theaters: Es behielt seinen deutschen Charakter bei. Gastspiele von Künstlern aus Deutschland waren normal, die Spielpläne und die Strukturdaten lassen die Zugehörigkeit zu Litauen nur bei genauem Hinsehen erkennen. Als Litauen kurz vor dem Zweiten Weltkrieg das Memelgebiet an Deutschland zurückgab, kamen auf das Theater keine großen Umbrüche zu: Allerdings zeigte der Spielplan sofort deutliche Merkmale der nationalsozialistischen Staatsideologie.

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Die großen ostpreußischen Provinzstädte hatten schon im 19. Jahrhundert eine Theatertradition entwickelt: Tilsit, Memel und Allenstein, mit Abstrichen auch Insterburg waren bemüht, feste Einrichtungen zu etablieren. Teils wurden Theatergebäude errichtet, teils spielte man in Hotelsälen, Schützenhäusern oder ähnlichen Domizilen. Allerdings waren diese Versuche mühsam und manchmal kurzlebig; alleine konnte sich keines dieser Theater behaupten. So kam es über Jahrzehnte zu Verbundlösungen, wie übrigens im Reichsgebiet auch. Memel und Tilsit wagten 1904 als erste dieser Städte den Weg in die dauerhafte Eigenständigkeit. Die nachfolgende, unvollständige Übersicht vermittelt einen Eindruck von der Vielfalt der Erscheinungen.

[Die Jahreszahlen beziehen sich überwiegend auf die mittjährigen Veröffentlichungen in Gettkes Theater-Almanach und im Neuen Theater-Almanach; sie gelten i. a. für die soeben abgelaufene Spielzeit.]

1875–84 Memel / Tilsit: Vereinigte Stadttheater
1885 Tilsit / Insterburg: Vereinigte Stadttheater
1886 Memel / Tilsit – verbunden mit dem Sommertheater Insterburg
1887 Memel / Tilsit: Vereinigte Stadttheater
1892 Allenstein, verbunden mit Graudenz und Marienwerder
1892 Insterburg und Gumbinnen – Vorsaison in Lyck
1893–04 Memel / Tilsit: Vereinigte Stadttheater
1895–96 Allenstein, Graudenz, Pr. Stargardt
1905–06 Allenstein, Insterburg, Memel
1907 Allenstein, Memel (Vorsaison mit Lyck) – Die Gesellschaft bereist die Provinz Ostpreußen
1908–10 Allenstein (verbunden mit Lyck und Osterode)
1908 Memel mit Insterburg
1910 Memel (Vorspielzeit in Allenstein)
1911 Allenstein: Städtebundtheater
1912 Memel (Vorspielzeit in Allenstein)
1913 Allenstein und Memel

 

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Schon in der Mitte des 19. Jahrhunderts hatten Theatertourneen des Königsberger Stadttheaters dazu beigetragen, den Theaterbedarf in ostpreußischen Provinzstädten zu wecken und zu befriedigen. Zwischen 1845 und 1862, vielleicht auch noch danach, hat es um die 2000 Vorstellungen in Gumbinnen, Insterburg, Memel und Tilsit, in zwei Sommern auch in Braunsberg gegeben. – Näheres hierzu in der Abhandlung über den Königsberger Theaterdirektor Arthur Woltersdorff sowie in dem Menü Theaterzettel / Akademie der Künste Berlin.

Um 1900 wurde auch in vielen ostpreußischen Kleinstädten mit Einwohnerzahlen zwischen 2.000 und 20.000 der Wunsch nach regelmäßigen Theateraufführungen laut. Hier war – wenn man einmal von den vorübergehenden Versuchen der Städte Gumbinnen und Lyck (s. o.) absieht – an feststehende Einrichtungen nicht zu denken. Vielmehr kamen hier nur Gastspiele in Betracht.

Man kann drei zeitlich sich überschneidende Entwicklungsphasen beschreiben, in denen diesem Bedarf auf jeweils unterschiedliche Weise entsprochen wurde:

(1) 1845–1923 Stehende Theater, die an spielfreien Tagen oder in der Sommerpause die Provinz bereisten
(2) 1914–1933 Wanderbühnen
(3) 1923–1944 Regelmäßige "Abstecher" des Landestheaters Süd-Ostpreußen Allenstein und des Grenzlandtheaters Tilsit als eine Kernaufgabe ihrer Tätigkeit

 

Die Unternehmungen werden an dieser Stelle nur pauschal aufgezählt, um sie gebündelt zu dokumentieren. Detaillierte Informationen (organisatorischer Hintergrund, ggfs. Spielpläne) sind durch Links erreichbar. – Die Angaben beanspruchen nicht, vollständig zu sein.

 

(1) 1845–1923

  • 1847 spielte das „Königsberger Schauspielpersonal“, also Mitglieder des Stadttheaters, in Memel (23. Mai bis 14. Juli – 31 Vorstellungen) und Tilsit (18. Juli bis 23. August – 26 Vorstellungen).
  • 1851 kam es zu Gastspielen der Königsberger in Braunsberg (15. Mai bis 1. Juni – 13 Vorstellungen), Insterburg (10. Juli bis 1. August – 15 Vorstellungen), Gumbinnen (4.–28. August – 21 Vorstellungen) und Tilsit (1. September bis 31. Oktober – 42 Vorstellungen).
  • 1852 spielte das „Königsberger Opern und Ballet-Personal“ bzw. das „Schauspielpersonal des Königsberger Stadttheaters" in Elbing (13. Mai bis 23. Mai – 11 Vorstellungen), Braunsberg (26. Mai bis 10. Juni sowie 27. Juli bis 11. August – 24 Vorstellungen), Insterburg (13. Juni bis 9. Juli sowie 15. August bis 7. September – 37 Vorstellungen), Gumbinnen (12. Juli bis 5. August sowie 10.–27. September – 36 Vorstellungen) und Tilsit (8. August bis 21 September sowie 30. September bis 20. Oktober – 58 Vorstellungen).
  • 1853 sind zwischen dem 1. und 31. Mai in Elbing 26 Vorstellungen der Königsberger Theatertruppe nachweisbar.
  • 1662 spielte die "Königsberger Gesellschaft" 20-mal in Elbing (20. April bis 5. Juni) und 42-mal in Memel (9. Juni bis 31. Juli). Vom 24. Juli bis 21. September trat das "Königsberger Schauspielpersonal" zu 48 Vorstellungen in Tilsit an.
  • 1907 bereiste die Theatergesellschaft Allenstein/Memel die Provinz Ostpreußen – Details sind nicht bekannt.
  • 1913 unternahm das Neue Luisentheater Königsberg eine Tournee durch 23 Provinzstädte
  • 1922/23 gab die Königsberger Volksbühne 20 Vorstellungen in Insterburg, Gumbinnen und Stallupönen.

Anmerkung : Die Gastspiele von 1847 bis 1862 sind durch erhaltene Aushangzettel dokumentiert. Sie ermöglichen die vollständige Rekonstruktion des Spielplanangebots. Näheres unter Theaterzettel / Akademie der Künste Berlin.

    (2) 1914–1933

    Einige Wanderbühnen, die sich die ortsnahe Versorgung ostpreußischer Kleinstädte zur Aufgabe gemacht hatten, sind unter den Königsberger Theatern zu finden, weil sie ihren Verwaltungssitz sämtlich in der Provinzhauptstadt hatten:

    Ein Sonderfall ist die Niederpreußische Bühne Königsberg, die von 1926 bis 1944 existiert hat und gelegentlich auch Städte in der ostpreußischen Provinz besuchte. Sie widmete sich der niederpreußischen Sprache (dem ostpreußischen Plattdeutsch).

    (3) 1923–1944

    Systematisch wurden die ostpreußischen Kleinstädte ab 1923 mit Theaterangeboten versorgt. Wenn man einmal vom Stadttheater Elbing absieht, das zeitweise auch in ostpreußischen Städten gastierte, übernahmen die beiden Theater in Allenstein (ab 1922/23) und Tilsit (ab 1933/34, vereinzelt auch vorher) diese Aufgabe nun dauerhaft. Die Aufstockung des Theaterpersonals ermöglichte es, am selben Tag am Heimstandort und in der Provinz zu spielen.

    Eine Besonderheit ist das Kurtheater Samland, das ab 1937 als Zweigstelle des Landestheaters Südostpreußen Allenstein in den Sommermonaten die samländischen Küstenorte bespielte.