Stadttheater Tilsit

In Memel gefiel die seit 1890 bestehende Theaterverbindung mit Tilsit nicht länger. Nach Memeler Darstellung wurde deshalb Hannemanns Vertrag mit Ablauf der Spielzeit 1903/04 nicht mehr verlängert (Kurschat S. 509 – s. Quellen Memel). Dieser Impuls führte dazu, dass Tilsit es nun alleine versuchte: eine Lösung, die sich jetzt als tragfähig erwies und im Grunde bis zum Ende der deutschen Zeit beibehalten wurde (s. aber 1929/30 und 1931/32).

Die Direktoren bzw. künstlerischen Leiter in diesem Zeitraum waren:

1904–1908 Ludmilla Hannemann
1908–1913 Francesco Sioli
1913–1915 Willy Stuhlfeld (1914/15 blieb das Theater kriegsbedingt geschlossen)
1915–1921 Curt Grebin
1921–1924 Marco Großkopf
1925–1927 Goswin Moosbauer
1927–1929 Josef Trummer
1929–1933 Ernst Günther Scherzer

 

Unter der Direktion von Ludmilla Hannemann und Francesco Sioli hatte das Stadttheater seinen Schwerpunkt eindeutig beim Schauspiel. Gelegentlich wurde auch eine Operette gegeben. Als Orchester dienten Mitglieder der örtlichen Militärkapelle (41. Infanterie-Regiment). Im Mai 1907 war aber eine sog. Monatsoper angesetzt, bei der zwölf Werke (in der aufgelisteten Reihenfolge) gespielt wurden:

  • Wagner: Tannhäuser
  • Verdi: Der Troubadour
  • Donizetti: Die Regimentstochter
  • Rossini: Der Barbier von Sevilla
  • Maillart: Das Glöckchen des Eremiten
  • Bizet: Carmen
  • Weber: Der Freischütz
  • Beethoven: Fidelio
  • Mozart: Die Zauberflöte
  • Wagner: Lohengrin
  • Thomas: Mignon
  • Verdi: La Traviata

Diese Opern und Operetten hat das Tilsiter Theater keineswegs mit eigenem künstlerischem Personal bestreiten können. Ein auswärtiges Theater hat hier also ein Gastspiel gegeben, welches, lässt sich derzeit nicht klären. Das Königsberger Stadttheater, das seine Musikspielzeit traditionell am 30. April beendete und von daher in Betracht käme, dürfte es nicht gewesen sein, weil es von den in Tilsit gegebenen Werken in der zurückliegenden Spielzeit nur vier in Königsberg angeboten hatte. – Memel scheidet wegen seines damaligen Personals und Repertoires ebenfalls aus.

Monatsopern gab es in den Folgejahren noch dreimal: April/Mai 1909, März/April 1910 und April 1912. Details in den Spielplänen.

Mit der Übernahme der Direktion durch Willy Stuhlfeld 1913 wurden im Ensemble erstmals 14 Sängerinnen und Sänger angeführt, ein Hinweis, dass man das Tilsiter Theater auch zur Musikbühne ausbauen wollte.

Am Beginn der Spielzeit 1914/15 erreichten die Auswirkungen des Krieges Tilsit unmittelbar. Dem Deutschen Bühnen-Jahrbuch meldete man: „Das Theater wurde geschlossen; die Verträge wurden gelöst. Eventuell späterer Beginn mit altem Personal.“ (DBJ 1915, S. 555).

Über die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg führt der „Tilsit-Arbeitsbrief“ aus:

Ein anderer bedeutender Intendant, der die erfolgreiche Arbeit am Tilsiter Theater fortführte, war Curt Grebien (1915–1920), dessen Ehefrau Lilly als gefeiertste Tilsiter Soubrette auch in Opern mitwirkte, und dann Marco Großkopf. Er hatte sein Herz der Oper und Operette verschrieben. Nach einer durchzechten Nacht fuhr das begeisterte Publikum seinen umschwärmten Marco nach einer Aufführung des Zigeunerbaron aus der "Kaiserkrone" mit einem Schubkarren nach Hause. Auch seine Inszenierungen der Walküre, der Meistersinger, Lohengrin, Freischütz und Fidelio und die Dramen Maria Stuart und Peer Gynt ergriffen die Zuhörer. Leider wurde der „feurige Marco“ der Tilsiter Stadtverwaltung zu kostspielig, und er mußte sein Amt in Tilsit aufgeben und ging nach Berlin.

Sein Nachfolger, Intendant Goswin Moosbauer, verstand es zwar besser, mit dem Etat umzugehen, aber nicht so gut, auf den Geschmack des Publikums einzugehen, obwohl berühmte Schauspieler Gastrollen in bedeutenden Stücken übernahmen. Die beliebte Operette wurde vernachlässigt. Moosbauers Vorliebe galt dem Schauspiel. So wurde sein Vertrag 1927 nicht mehr erneuert.

Von 1927 bis 1933 befand sich das Tilsiter Stadttheater in einer Phase der Umstrukturierung, die unter drei Aspekten stand:
a) Verhältnis von Sprech- und Musiktheater
b) Kampf um die Selbstständigkeit
c) Beginn der Theaterversorgung Nord-Ostpreußens von Tilsit aus

Die eben erwähnte „beliebte Operette“ bezeichnet den Geschmack des Tilsiter Publikums. 1927/28, 1928/29 und 1930/31 hat es überwiegend Operetten und Spielopern gegeben. Hierzu war allerdings nicht nur die Verpflichtung eines Sängerensembles erforderlich sondern auch die eines stehenden Orchesters. Die Unterhaltung einer Musik- und einer Sprechbühne überstieg im Zeichen der sich anbahnenden Weltwirtschaftskrise die Kräfte der Stadt Tilsit. So sah man sich zweimal nach Partnern um und fand sie 1929/30 in der Ostpreußischen Bühne und 1931/32 im Landestheater für Ost- und Westpreußen, die ihrerseits als Tourneetheater um ihre Existenz bangten. Beide Theater legten für eine Spielzeit neben ihren üblichen Aufgaben einen weiteren Schwerpunkt in die Versorgung der Stadt Tilsit. Das wirkte sich hier zweifach aus:

  • Die Notwendigkeit, ein eigenes Sprechtheater zu unterhalten, entfiel
  • Tilsit erlebte hautnah, wie die beiden Kooperationspartner auch die Provinz versorgten.

Damit waren die Weichen für die Zukunft gestellt. Nachdem die Ostpreußische Bühne und das Landestheater für Ost- und Westpreußen eingingen, übernahm Tilsit deren Umlandaufgaben auf Dauer mit und entledigte sich damit mehrerer Sorgen:

  • Die eigene wirtschaftliche Basis wurde erweitert
  • Man war jetzt in der Lage, ein Sprech- sowie ein Musiktheater-Angebot sicherzustellen.

1933 setzte das Theater seine Arbeit als Grenzlandtheater Tilsit fort.