Otto Nicolai

Einführung

Otto Nicolais (1810–1849) Kindheit und Jugend in Königsberg erschüttern. Was sein erster Biograf Hermann Mendel da berichtet, will der Leser nicht wahr haben: die Ehe der Eltern zerrüttet; Scheidung; ein despotischer Vater, dem man heute das Sorgerecht entziehen würde; unregelmäßiger Schulbesuch; ständiges, auch zeitlich ausgedehntes Herumstreunen des jungen Otto; schließlich die endgültige Flucht des 16-Jährigen aus Königsberg. Der spätere Gründungsdirigent der Wiener Philharmoniker und Komponist der Lustigen Weiber von Windsor machte seine Karriere außerhalb Ostpreußens.

Der junge Otto Nicolai
(Nach einer Lithografie von F. Bruny 1835)

Der Erstbiograf, aber auch spätere Musikwissenschaftler haben sich schwer getan mit dieser Jugend. Als Mendel das Manuskript seines Buchs über Nicolai nach 1860 vollendet hatte, bekam er noch vor der Drucklegung Kenntnis von späten Briefen des Sohnes an seinen Vater Carl Ernst Daniel Nicolai (1785-1857), die eine gute Beziehung, ja die Zuneigung des Sohnes zu belegen schienen. Er ließ sein Manuskript unverändert, erwähnte die Briefe aber im Vorwort.

Erwin Kroll widmete Nicolai ein kleines Kapitel in seiner Musikstadt Königsberg (1966). Dort machte er sich die mildere Sichtweise des erwachsenen Otto Nicolai auf seinen Vater zu eigen. Hier ist allerdings Vorsicht geboten. Der von der Psychologie inzwischen erkannte und ausführlich beschriebene seelische Vorgang der „Identifikation mit dem Aggressor“ könnte auch hier eine Rolle spielen. Wir lassen die Frage offen, ob Nicolai später tatsächlich an seinem Vater „mit rührender Liebe hing“ (Kroll 202), ob er seine Jugenderlebnisse überkompensierte oder ob er einfach nur Frieden mit seiner verunglückten Jugend machen wollte.

Davon abgesehen, sind es drei Punkte, die Nicolai mit seiner Geburtsstadt verbinden. Einerseits hat er – so viel Anerkennung muss sein – vom Vater immerhin Talent und eine gute musikalische Grundausbildung erhalten, ohne die seine späteren Erfolge nicht möglich gewesen wären.

Zweitens kam er spät aus wichtigem Anlass in seine Vaterstadt zurück: Zur Feier des 300-jährigen Bestehens der Albertina lud die Stadt Königsberg ihren inzwischen bekannten, ja berühmten, Sohn ein, einen persönlichen Beitrag zu leisten. Nicolai komponierte seine Festouverture Ein feste Burg ist unser Gott für Chor, Orgel und Orchester und leitete die Uraufführung im Königsberger Dom am 28. August 1844.

Drittens ehrten die Wiener Philharmoniker 2010 ihren Gründer und seine Vaterstadt anlässlich Nicolais 200. Geburtstags mit einem Gastkonzert in Kaliningrad.

Sowohl Nicolais Jugend wie auch sein späterer Besuch in Königsberg werden durch Ausschnitte aus den beiden frühen Biografien belegt; das Jubiläumskonzert 2010 wird durch zwei Berichte aus Kaliningrad und einen aus Wien dokumentiert.

 

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Literatur:

Anmerkung zur Biografie von Georg Richard Kruse:
Kruse schildert Nicolais Jugendjahre zwar nüchterner und straffer als Mendel ein knappes halbes Jahrhundert zuvor, stimmt im Kern aber mit seinem Vorgänger überein. Die Charakterschwächen von Nicolais Vater werden – auch durch Beispiele aus Jahren, die der Jugendzeit des Sohnes vorausgingen oder ihr folgten – noch deutlicher herausgearbeitet.