Einführung
Ludwig Goldstein, geboren am 10. November 1867 in Königsberg, weist viele Gemeinsamkeiten mit Emil Krause, seinem Vorgänger im Amt des Feuilletonchefs der Hartungschen Zeitung, auf. Die Unterschiede lassen ihn jedoch heute, 2012, wo es höchstens noch eine Handvoll bewusst miterlebender Zeitgenossen gibt – Ruth Geede gehört zu ihnen –, ungleich plastischer und präsenter erscheinen als jenen.
Beide haben ihr Leben in Ostpreußen verbracht, beide stammen aus einfachen Verhältnissen – Krause ist in einem Königsberger Waisenhaus aufgewachsen, Goldstein war der Sohn eines jüdischen Schneidermeisters – beide haben an Königsberger Gymnasien und an der Albertina eine gute und solide Ausbildung genossen, beide haben den Kulturteil der Hartungschen Zeitung für Jahrzehnte geleitet und damit das kulturelle Klima ihrer Heimatstadt geprägt, beide haben der Verlockung widerstanden, ihre Karriere in Berlin fortzusetzen.
Ludwig Goldstein
Nach einer Radierung von Heinrich Wolff
(Quelle: Fischer – Königsberger Hartungsche Dramaturgie)
Wenn Goldsteins Wirken intensiver nachgezeichnet werden kann als dasjenige Krauses, hat dies mehrere Gründe:
- Goldstein hat im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts gewirkt, Krause im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts. Damit war Goldstein vielen, die nach dem 2. Weltkrieg über das kulturelle Leben Königsbergs geschrieben haben, noch aus eigenem Erleben in Erinnerung.
- Goldstein war der umfassender Gebildete. Er hat außerhalb seiner journalistischen Tätigkeit viele Bücher veröffentlicht, die meisten mit einem Bezug zu Königsberg oder Ostpreußen. Hier muss auch erwähnt werden, dass Goldstein den Königsberger Goethebund von 1910–1929 geleitet hat.
- Die Königsberger Theaterlandschaft war in Goldsteins Jahrzehnten teilweise ungemein spannend und brachte Spitzenleistungen hervor, die weit über Ostpreußen hinaus strahlten. Das kam auch dem Kritiker Goldstein zugute.
- In die Ära Goldstein fällt das wichtigste Zensurverbot einer Theateraufführung am Königsberger Stadttheater. 1910 wurde die öffentliche Aufführung von Wedekinds Frühlings Erwachen verboten. Goldstein war der profilierteste Kämpfer gegen diesen Eingriff staatlicher Zensur.
Ein weiterer Aspekt, der Goldstein von Krause absetzt, sind seine jüdischen Wurzeln, verbunden mit der Tatsache, dass er die Zeit des Nationalsozialismus fast bis zum Ende erlebt hat. Dies ist bisher in Publikationen mit explizitem Bezug zu Ostpreußen kaum oder eher am Rande erwähnt worden. Goldstein gab seine Tätigkeit als Feuilletonchef der Hartungschen Zeitung bald nach seinem 60. Geburtstag an Eugen Kurt Fischer ab, schrieb aber noch gelegentlich für sein altes Blatt, auch in der allerletzten Ausgabe vom 31. Dezember 1933, mit der die Königsberger Traditionszeitung wegen der neuen politischen Lage eingestellt wurde.
Goldstein, der mit einer „Arierin“ verheiratet war und nach der Terminologie des Nazi-Rechts in einer „privilegierten Mischehe" lebte, wohnte als Rentner weiterhin unauffällig in Königsberg; von harten Repressalien oder gar Deportation blieb er verschont. Er dokumentierte aber weiterhin sein Leben und notierte u. a. seine Königsberger Eindrücke vom Ablauf des Novemberpogroms 1938; der Text wird in diesem Kapitel dokumentiert.
Ludwig Goldstein starb am 12. Juli 1943 in Königsberg "nach jahrelangem sehr qualvollen Leiden (Herzwassersucht)". So schreibt seine langjährige Mitarbeiterin Meta Zilian. - Meta Zilian war es gelungen, eine Abschrift der Lebenserinnerungen Goldsteins aus Königsberg mitzunehmen. Sie gelangten in das Geheime Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz in Berlin und wurden von Monika Boes, Berlin, einer Großnichte Goldsteins, 2015 unter dem Titel "Heimatgebunden - Aus dem Leben eines alten Königsbergers" herausgegeben. Dem Buch ist das oben angeführte kurze Zitat von Meta Zilian entnommen (S. 9).
Die Gliederung des Buches und ein weiterer größerer Textabschnitt sind im Kapitel "Goldstein über Paul Stettiner" zu erreichen.
Gliederung s. Menüleiste.