Opernhaus

Mit der Spielzeit 1928/29 hatte die Stadt Königsberg die beiden wichtigsten Theater als Eigentümerin übernommen, das Stadttheater, das sie als Opernhaus fortführte, und das Neue Schauspielhaus.

Während das Neue Schauspielhaus seit seiner Gründung 1910 als Sprechbühne arbeitete, hatte sich das Stadttheater erst nach dem Weltkrieg zur reinen Musikbühne entwickelt und nannte sich seit 1924 Opernhaus, allerdings zunächst noch unter dem Eigentümerdach der Theater-Aktien-Gesellschaft.

Mit der Übernahme durch die Stadt begann für das Opernhaus 1928 eine fünfjährige Phase, während der ein Pächter, die zunächst weiter bestehende Theater-Aktien-Gesellschaft, die Betriebsrechte erwarb. Unter Hans Schülers (1897–1963) Intendanz erlebte das Opernhaus bis 1933 die bedeutendste Zeit seiner 16-jährigen Existenz. Was die mutige Programmgestaltung betrifft, war das Opernhaus in diesem Zeitraum eines der wichtigsten Musiktheater Deutschlands. Natürlich kamen auch Operetten und Spielopern zu ihrem Recht; es waren aber vor allem zeitgenössische Werke, die den Ruf des Opernhauses weit über die Grenzen Königsbergs hinweg festigten.

Die wichtigsten Erst- bzw. Uraufführungen:

1928/29:
Strawinsky: Les Noces (Deutsche Erstaufführung)
Strawinsky: Der Feuervogel
Hindemith: Cardillac
Pfitzner: Der arme Heinrich
Wolf-Ferrari: Sly

1929/30:
Hindemith: Der Dämon
Hindemith: Tuttifäntchen
Strawinsky: Apollon musagète
Strawinsky: Oedipus Rex
Strawinsky: Petruschka
Berg: Wozzek
Toch: Der Fächer (Uraufführung)

1930/31:
Busoni: Turandot
Strawinsky: Die Geschichte vom Soldaten
Kempff: König Midas (Uraufführung)

1931/32:
Hindemith: Neues vom Tage
Weinberger: Schwanda, der Dudelsackpfeifer
Milhaud: Der arme Matrose

1932/33:
Pfitzner: Palestrina

Wenn man zudem bedenkt, dass Hermann Scherchen gleichzeitig von 1928 bis Ende 1931 Dirigent der Königsberger Sinfoniekonzerte und von 1928 bis 1933 musikalischer Oberleiter des Ostmarken-Rundfunks (des späteren Reichssenders Königsberg) war, kann man ermessen, wie lebendig das örtliche Musikleben in diesem Zeitraum war und welchen Anspruch es verkörperte. – Ende 1932 wechselte Hans Schüler an die Städtischen Bühnen Leipzig.

Hans Schüler (sitzend) mit seinem Oberspielleiter Wolfram Humperdinck
und dem Ausstattungschef Karl Jacobs

Quelle: Programmheft "Die Oper" 1931/32, Heft 6
(Museum Stadt Königsberg Duisburg)

Das Dritte Reich brachte eine neue Kulturpolitik mit sich, die das Theaterwesen straff der neuen Staatsideologie unterordnete. An eine Programmgestaltung wie bisher war nicht zu denken. Überdies hatten Schülers Nachfolger (Liste am Ende dieses Artikels) nicht sein künstlerisches Format. Sie mussten die Richtlinien der nationalsozialistischen Kulturpolitik umsetzen und waren in den Kriegsjahren jenen Zwängen ausgesetzt, die jeder Krieg mit sich bringt: einerseits Einschwörung auf die Staatsdoktrin (in diesem Fall eine totalitäre, zudem rassistisch geprägte) und zum anderen sowohl Zerstreuung wie Besinnung auf die klassische Überlieferung.

Zwar wirkte sich der weltanschauliche Überbau der Nazi-Epoche im Opernhaus nicht so direkt aus wie im Neuen Schauspielhaus, wo linientreue Schauspiele (die Spielzeit 1933/34 wurde dort z. B. programmatisch mit Johsts Schlageter eröffnet) schnell auf die Bühne kamen. Die Programmgestaltung des Opernhauses zeichnete sich mehr dadurch aus, dass – abgesehen von der ausländischen Moderne und der deutschen Avantgarde, die vollständig verschwanden – die Intendanten auch deutsche, mäßig moderne Komponisten mit einigem Anspruch nicht mehr inszenierten. So ist Hans Pfitzner, wahrlich kein Regimegegner (Reichskultursenator; von Hitler persönlich in die Gottbegnadetenliste als einer der drei wichtigsten Musiker aufgenommen; dezidierter Antisemit), nach 1933 nicht mehr im Königsberger Opernhaus gespielt worden.

Wie die deutschen Theater ideologisch auf die Kriegssituation eingeschworen wurden, zeigen Ausschnitte aus einem Beitrag des Präsidenten der Reichstheaterkammer, Ludwig Körner, in seinem „Rückblick zum Abschluss der Kriegsspielzeit 1939/40“ im Deutschen Bühnen-Jahrbuch 1941 (S. 12):

… In der Arbeits- und Lebensform des Bühnenschaffenden stehen sich ebenso klassische und neue deutsche Art gegenüber wie beim Soldaten und seinem Einsatz in alter und neuer Art der Kriegsführung. Der Soldat verkörpert heute für alle sichtbar die fortgeschrittenste Form der neuen deutschen, jetzt kriegerischen, später allgemein kämpferischen Arbeitsweise und Lebensart. Das deutsche Theater und der Schauspieler haben sich bei ihrem Einsatz für den Soldaten seiner Taktik und Methode angepaßt: Beweglich, vielseitig, mit neuzeitlicher Technik ausgerüstet, selbstverantwortlich, zuverlässig, diszipliniert, begeistert und mit dem Blick, der die unmittelbare Aufgabe im Rahmen und in ihrer Bedeutung für das größere Ganze erkennt, ausgestattet. So zeichnet sich das Bild des neuen Theaters und seiner Schaffenden im Großdeutschen Reich als eine allmählich alle Nachfolge durchdringende höchste Form bereits nach einer Kriegsspielzeit ab.

… Der Deutsche hat seit jeher seine kulturellen Aufgaben gekannt und ging in Krisen- und Kriegsjahren nicht allein seinen Geschäften nach. Er hält gerade in schweren Zeiten an seiner kulturellen Wehrpflicht fest und sammelt sich in seinen Theatern als in Pflegestätten des deutschen Geistes und der deutschen Kultur.

Auf der anderen Seite bot das Opernhaus in diesen Jahren den Grundkanon der Opernliteratur in durchaus ansprechender Qualität. Viele Königsberger haben nach dem Zweiten Weltkrieg berichtet, wie sie hier in jungen Jahren prägende Eindrücke empfangen haben. Aus der großen Zahl der beteiligten Künstler wurde immer wieder Wilhelm Franz Reuß anerkennend hervorgehoben, der als Kapellmeister die musikalische Qualität verbürgte und daneben auch die Städtischen Sinfoniekonzerte leitete. Reuß war zudem Landesleiter Ostpreußen der Reichsmusikkammer. Zu seiner politischen Rolle schrieb Fritz Gause (III 138): „Er diente dem Regime, aber in erster Linie doch der Kunst.“

In den letzten Jahren des Opernhauses fällt die große Zahl von Tanzgastspielen (teilweise als Matinee) ins Auge, obwohl das Opernhaus selbst immer ein Ballett unterhielt. – Ab 1938 wurde der Opernchor bei großen Opern gelegentlich durch den Bach-Verein Königsberg verstärkt. (Dort auch Details.)

Quelle: Programmheft Städtische Bühnen Königsberg (Pr), Spielzeit 1938/39, Heft 2
(Sammlung Schröder/Meyer)

Abschließend die Liste der Intendanten des Königsberger Opernhauses:
1928–1932: Hans Schüler
1933: Wolfram Humperdinck (kommissarisch)
1933/34: Erich Fisch
1934–1938: Edgar Klitsch
1938/39: Edgar Klitsch / Max Spilcker
1939–1942: Max Spilcker
1942/43 : Max Spilcker / Herbert Wahlen
1943/44: Gerhard Pietzsch
Von der Spielzeit 1935/36 bis Ende 1942 erstreckte sich die Intendanz auch auf das Neue Schauspielhaus.

Das Opernhaus wurde durch die beiden verheerenden britischen Bombenangriffe Ende August 1944 zerstört. Der bedeutende ostpreußische Komponist und Musikjournalist Otto Besch schrieb über sein Wiedersehen mit dem Theatergebäude, in dem er seit Anfang des Jahrhunderts ungezählte Stunden verbracht hatte:

Noch einmal betrat ich das Opernhaus. Im Zuschauerraum Schutt und Trümmer, darüber die Wolken des Himmels, auf der Bühne ein wüstes Durcheinander von Eisengestänge und Eisenträgern, doch oben im Wandelgang des ersten Ranges, stolz erhobenen Hauptes wie immer, die Büste Richard Wagners. Am nächsten Tage war auch sie herabgestürzt und untergetaucht in Staub und Asche. Nicht mehr Tristan, nicht mehr Figaro und Rosenkavalier: Ab und zu lösen sich lockere Mörtelreste von geborstenen Wänden und rieseln leise kollernd zum anderen Schutt in die Tiefe.
[Otto Besch: Erinnerungen. 1973. S. 103]

Hier geht es zu den Spielplänen. von 1928–1944.